Orgelvesper zu Jubilate
Die Reformierte Kirchgemeinde Arlesheim lädt diesen Frühling erstmals zu einer Orgelvesper zu Jubilate ein.
Die Vesper als viertes Stundengebet des Tages geht, wie alle Stundengebete, zurück auf die frühmittelalterliche Ordensregel der Benediktiner. Als Abendlob beschloss sie das Tagewerk der Mönche. Die seit Jahrzehnten zweimal pro Jahr in unserer Kirchgemeinde stattfindenden Orgelvespern nehmen die Tradition dieses abendlichen Gottesdienstes auf. Die Orgel nimmt darin als Ausdrucksmittel der Verkündigung eine zentrale Rolle ein – ein Gebet in der Sprache der Musik.
Der dem 19. April folgende dritte Sonntag nach Ostern trägt in der evangelischen Kirche den Namen «Jubilate» – «Jubelt» und ist dem Lob der Schöpfung gewidmet. Leicht fällt es, im Frühjahr in den Jubel der erwachenden Natur einzustimmen. Ihr Wiederaufblühen wird in der Osterzeit zum wunderbaren Sinnbild der Auferstehung. Immer schwingen dabei aber auch die Vorläufigkeit und Gefährdung der Schöpfung mit. Aus dem österlichen Jubel angesichts der Überwindung des Todes erwächst Christinnen und Christen jedoch Hoffnung in der Auseinandersetzung mit der Endlichkeit der Welt und ihrer eigenen Vergänglichkeit.
Unser Organist Thilo Muster wird dieser christlichen Zuversicht u.a. mit auf geistlichen Motetten beruhenden Orgelwerken von Heinrich Scheidemann (um 1596–1663) Ausdruck verleihen. Die Liturgie gestaltet Pfarrer Marc-Andrin Eggenschwiler.
Margret Föppl, Kirchenpflege
Heinrich Scheidemann wirkte hauptsächlich in Hamburg, wo er als Organist an der Katharinenkirche tätig war, die damals eine der grössten und farbigsten Orgeln der Welt besass. Johann Sebastian Bach gab dort noch 1720 ein denkwürdiges Konzert und bezeichnete das Instrument als «ein in allen Stücken vortreffliches Werk».
Einer von Scheidemanns herausragenden Beiträgen zur Musikgeschichte sind seine Motettenkolorierungen. Es handelt sich dabei um Bearbeitungen vokaler Motetten für die Orgel, bei denen die ursprünglichen Stimmen durch Verzierungen und ornamentale Zusätze bereichert werden. Diese Praxis war im 16. und 17. Jahrhundert weit verbreitet, da sie es ermöglichte, die polyphonen Werke der Vokalmusik auf Instrumenten wie der Orgel darzubieten.
Scheidemanns Kolorierungen zeichnen sich durch eine kunstvolle Verflechtung von Melodielinien aus, wobei er häufig Gebrauch von Diminutionen macht – das heisst, er löst längere Notenwerte in Girlanden von schnellen Noten auf. Durch die schnellen Notenwerte erhält das Stück ein viel langsameres Grundtempo als im Original. So wird die gesamte musikalische Struktur einerseits «auseinandergezogen» und erhält eine meditative Ruhe, gleichzeitig sorgen die schnellen Diminutionen für einen lebendigen und oft sogar virtuosen Fluss. Scheidemann gelingt es dabei, gleichzeitig den Eindruck von Schnelligkeit und meditativer Ruhe zu erwecken.
Die Motetten selbst stammen oft von zeitgenössischen Komponisten wie Orlando di Lasso oder Josquin Desprez. Scheidemann verwandelte diese Werke durch seine Kolorierungen in etwas Neues und Einzigartiges, indem er ihnen eine spezifische instrumentale Dimension verlieh, die sowohl den Charakter des Originals bewahrte als auch die Möglichkeiten der Orgel voll ausschöpfte.
Seine Fähigkeit zur Improvisation spielte dabei eine wichtige Rolle; es ist wahrscheinlich, dass seine erhaltenen Kolorierungen auf Improvisationen basieren. Dies spiegelt sich in der Spontaneität und Vitalität seiner Musik wider.
Thilo Muster